Von Christopher Lucht*

„Warum benötigen wir eine Jugenddimension für die Ostseeregion?“ Agnes Lusti (20) antwortet ohne zu zögern. „Wir Jugendlichen haben oft eine andere Perspektive“.

Die Moderatorin möchte es aber genauer wissen und bittet um ein Beispiel. Die rund 150 Zuhörer im Konferenzsaal der Baltic Philharmonie in Danzig spitzen die Ohren. Alle sind gespannt, wie sich die neue Sprecherin der BSSSC-Jugend bei ihrem ersten öffentlichen Interview aus der Affäre ziehen wird. Erst gestern ist die junge Norwegerin von den Jugendlichen zur Sprecherin gewählt worden. Sie wird den Posten zwei Jahre innehaben und ein Jahr lang eine Doppelspitze mit Martin Rümmelein (24) aus Schleswig-Holstein bilden.

Nach kurzem Zögern kommt die Antwort von Agnes: „Die meisten hier im Saal denken sicherlich beim Blick auf die Tür dort an den Kaffee, der in der Pause auf uns wartet. Ich denke an die frische Luft da draußen“. Damit hat sie die Sympathien der Zuhörer auf einen Schlag erobert. Die Unterstützung des BSSSC wird sie in den kommenden Monaten benötigen, denn sie hat sich einiges für 2019 vorgenommen, das mit dem Ostsee-Bild der „frischen Brise“ vielleicht ganz gut umschrieben ist. 

Aber was ist BSSSC (gesprochen: B-TrippleS-C) überhaupt und welche Rolle spielt die Jugend in diesem Gremium? Hinter der Abkürzung verbirgt sich die Baltic Sea Subregional State Coordination, also die Versammlung der Regionen der Ostseeanrainerstaaten. Für Deutschland sind in diesem Gremium beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Brandenburg vertreten. In Finnland die Regionen wie Häme, in Norwegen die Provinz wie Østfold oder in Polen die Woiwodschaften wie Pomerania. Das Netzwerk umfasst Regionen aus 10 Ostseeanrainern. Jedes Land kann zwei Mitglieder in den Vorstand entsenden und auch die BSSSC-Jugend ist dort mit zwei Mitgliedern gleichberechtigt vertreten. 

Und diese nehmen ihre Funktion sehr ernst, wie die Vorbereitung auf die 26. Konferenz vom 12.-14. September 2018 in Danzig gezeigt hat. Bereits im April 2018 haben sie sich gemeinsam mit sich ca. 20 Jugendliche in Hämeenlinna in Süd-Finnland getroffen, um Ideen und Forderungen zu den Themen Green Future, Smart Cities, Digitalisierung, Silver and Youth zu erarbeitet. Die Workshops dienten vor allem dazu, den Dialog zwischen Jugend und Vorstand zu befruchten, Positionspapiere zu erarbeiten und Initiativen und Events anzustoßen, sich kennenzulernen, auszutauschen und so etwas wie ein Ostsee-Gefühl oder eine Ostsee-Identität zu entwickeln. 

Eine zweite Vorbereitungsrunde fand dann im unmittelbarem Vorfeld zur BSSSC-Konferenz  in Danzig statt. Gemeinsam mit Jugendlichen aus Danzig lag der Fokus dieser Begegnung auf der Zusammenarbeit zwischen den Generationen (Silver and Youth) sowie – wie sollte es in Danzig anders sein – auf dem Thema Solidarität. Trotz der Bemühungen der Organisatoren vom Marschallamt Pommern gelang es leider nicht, ein Treffen mit Lech Welesa zu arrangieren. Aber auch der Besuch des Europäischen Solidarność-Zentrums, in dem an die Gewerkschaft Solidarność und ihren Anführer Lech Walesa erinnert wird, konnte den Jugendlichen ein Bild davon vermitteln, wie in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Ende der kommunistischen Herrschaft in Polen und später dann im gesamten sogenannten Ostblock eingeleitet wurde. Wenn man wollte konnte man den Besuch als Inspiration für eine kleine Jugendrevolte im Ostseeraum interpretieren.

Am folgenden Tag wurde dann im frisch renovierten “Polish Sky Room” des Marshallamtes von Pommern das Thema Solidarität in einem spielerischen Ansatz bearbeitet, wobei ein kleines Theaterstück entstand, dass von den Ostsee-Jugendlichen auf der BSSSC Konferenz aufgeführt wurde.

Die Jugend spielt bereits seit rund 10 Jahren eine wichtige Rolle beim BSSSC – sie haben in dieser Zeit bereits viel Überzeugungsarbeit in eigener Sache geleistet. So gibt es in der Schlusserklärung der Danziger Konferenz dann auch eine Erklärung dafür, was sich die politisch Verantwortlichen von den Jugendlichen erhoffen.  „BSSSC erkennt die Jugend der Ostseeregion, wenn es um Diskussionen rund um die Ostseeregion heute und morgen geht, als wichtigen Stakeholder an. Jugendliche sind feinfühliger gegenüber vielen Herausforderungen – und durch die Art und Weise wie sie leben und kommunizieren haben sie für Veränderungen in unseren Gesellschaften ein besonderes Gespür.“  

Stärkerer Einfluss von Jugendlichen in der Alltagsarbeit

Daher will sich die BSSSC auch dafür einsetzen, dass die Jugend eine festgeschriebene Rolle und Einfluss in der neuen EU- Ostseestrategie (EUSBSR) nach 2020 erhalten werden. Zudem sollen die politischen Koordinatoren der EUSBSR Jugendliche bereits auf Arbeitsebene in den Ausschüssen einbeziehen. 

Genau das ist es, was die Jugendlichen auch vom BSSSC erwarten: Zukünftig soll es in den BSSSC Abschlusserklärungen nicht mehr ein eigenes Jugendkapitel geben sondern die Jugendlichen sollen in den Arbeitsgruppen und Ausschüssen direkt mitarbeiten und die großen Themen wie Demografischer Wandel, Zukunftsfähigkeit und Digitalisierung direkt mitarbeiten und damit die Ergebnisse mitbestimmen.  

Die nächste Gelegenheit zu zeigen, dass die Forderungen ernst zu nehmen sind, ergibt sich nächstes Jahr unmittelbar vor dem Treffen der EUSBSR-Konferenz (10.-12.6.2019) in Danzig. Dort wird es – in Zusammenarbeit mit der Jugendgruppe des Ostsee-Rates – das erste Baltic Sea Youth Event mit über 100 Teilnehmenden aus allen Ostsee-Staaten geben. Es soll dann so etwas wie eine Ostsee-Identität in einem größeren Rahmen mit Leben gefüllt werden. Im Fokus steht dann das das Thema „Circular and sharing economie as answer for demographic change“. Das alles wird vom Ostseerat und dem BSSSC nicht nur ideel sondern auch finanziell unterstützt. Bisher, so scheint es, stoßen die Jugendlichen mit ihren Anliegen und Überlegungen auf wenig Widerstand. Und auf der kommenden 27. BSSSC-Konferenz in Klaipeda (Litauen) – wird sich dann zeigen müssen, wie weit die steife Jugend-Brise, die mit Martin und Agnes im BSSSC-Vorstand Einzug gehalten hat, tatsächlich auch politisch-inhaltlich wirkt.  

………..

* Christopher Lucht ist seit September 2005 Inhaber und Geschäftsführer von Perspektive Europa mit Sitz in Berlin und Europäer aus Leidenschaft.

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