von Maria Seier, Historikerin und Doktorandin an der FernUniversität in Hagen

Die Ratssendeboten der Hansestädte trafen sich an der Wende zum 16. Jahrhundert zu allgemeinen Hansetagen fast ausnahmslos in Lübeck. Jede Tagfahrt dauerte meist zwischen drei und vier Wochen und war für Lübeck und die teilnehmenden Städte mit erheblichem Aufwand verbunden. Wie muss man sich das Geschehen vorstellen? Wie tagte man, wo wohnten die Gäste und wurde auch gefeiert? In zwei Vorträgen für das Europäische Hansemuseum Lübeck von Dezember 2017 sowie Mai 2018 ging die Historikerin Maria Seier diesen Fragen nach und vermittelte einen Überblick, wie bei den Hansetagen jener Zeit große Diplomatie und großes Spektakel ineinander griffen.

Die Hanse, ein Zusammenschluss von Kaufleuten und Städten zu wirtschaftspolitischen Zwecken hat nicht nur den unmittelbaren Ostseeraum, sondern auch weite Teile des Binnenlandes in Mittelalter und Früher Neuzeit geprägt.

Im Folgenden geht es um ein hansisches Ereignis, dass ziemlich genau 500 Jahre zurückliegt und dass damals sicherlich für einige Wochen das Lübecker Stadtgeschehen dominiert hat. Die Rede ist vom Hansetag von 1518, der in jenem Jahr vom 19. Juni bis zum 14. Juli in Lübeck abgehalten worden ist. Diese Versammlungen der Hansestädte – von den Zeitgenossen als Tagfahrten bezeichnet – fanden ab Mitte des 14. Jahrhunderts regelmäßig statt. Sie hatten zum Ziel, die gemeinsamen Interessen in Handel und Politik besser aufeinander abzustimmen, um dann mit einer Stimme zu sprechen. Daten zu Ort, Zeit und Teilnehmerkreis der Hansetage lassen sich den Rezessen entnehmen, den Verlaufs – und Beschlussprotokollen, die von den hansischen Treffen damals angefertigt wurden.

In den 50 Jahren zwischen 1480 und 1530 wurden insgesamt elf Versammlungen abgehalten. Am besten besucht war der Hansetag von 1507 mit 27 dort vertretenen Städten, danach fünf weitere Versammlungen mit 18 bis 20 Teilnehmerstädten – „große Politik“ also und insgesamt eine durchaus rege Phase der Hanse. Die Treffen dauerten in dieser Phase im Schnitt zwischen drei bis vier Wochen und fanden bis auf den Hansetag von 1494 alle in Lübeck statt.

Dass 1518 das Zusammentreffen der hansestädtischen Vertreter in Lübeck gut vier Wochen dauerte, ist daher nicht ungewöhnlich. Zwischen den einzelnen Versammlungen konnten einige Jahre vergehen, denn einberufen wurden sie nach Bedarf, also immer dann, wenn es etwas zu besprechen und zu regeln gab. Für die Einberufung war der Rat der Stadt Lübeck in enger Abstimmung mit den sogenannten wendischen Städten zuständig. Als wendische Städte wurden die Städte Hamburg, Lüneburg, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald bezeichnet. Für die Zeit zwischen den Hansetagen übernahmen diese sieben Städte die laufende Geschäftsführung, wie wir das heute ausdrücken würden, wobei der Lübecker Ratskanzlei als ausführende Instanz die Hauptlast zufiel.

Für die Vorbereitung zur Einberufung des Hansetags von 1518 trafen sich die wendischen Städte im Februar in Lübeck und verständigten sich über die zu besprechenden Angelegenheiten und formulierten eine Einladung.

Diese Einladung wurde dann an die größeren Hansestädte durch städtische Boten zugestellt und diese größeren Hansestädte wiederum verteilten sie weiter an die in ihrer Region gelegenen kleineren Hansestädte – eine Art Schneeballsystem. Die Hanse erstreckte sich über ein enorm großes Gebiet: vom Baltikum im Nordosten bis zum Ijsselmeer in den Niederlanden im Westen.

Dabei war die Hanse nicht – wie landläufig oft angenommen – auf den Bereich der Küsten von Nord – und Ostsee beschränkt, sondern auch im Binnenland gut vertreten, wobei in dem Bereich der heutigen deutschen Bundesländer Nordrhein – Westfalen, Niedersachsen und Sachsen – Anhalt die Dichte am größten war. Insgesamt waren es gut 70 größere Städte, die an den wirtschaftlichen und politischen Absprachen beteiligt und dazu auf den Hansetagen vertreten waren. Hinzu kommen noch etwa 130 kleinere Städte, die nicht selbst an Hansetagen teilnahmen, sondern ihre Interessen von den größeren Städten mit vertreten ließen.

Doch zurück zu der Frage, wie ein Hansetag einberufen wurde und welche Wirkung die Einladung bei den Hansestädten hatte. Man fühlte sich geehrt, zu einem wichtigen und promi- nenten Kreis von Städten zu gehören und folgte der Einladung mit Freude – so könnte man denken. Doch so einfach war es nicht. Die Städte wogen genau ab, ob der finanzielle und zeitliche Aufwand der Besendung sich mit dem politischen und wirtschaftlichen Nutzen die Waage hielt, denn eine Verpflichtung zur Teilnahme bestand nicht. In diesem Punkt hat sich in den letzten Jahrzehnten der wissenschaftliche Blick auf die politischen Strukturen der Hanse geändert. Hatte man sich die Hanse früher als effektive und streng hierarchisch aufgebaute Organisation unter Lübecker Führung vorgestellt, wird in jüngerer Zeit deutlich, dass man sich das Ganze eher als eine Art Netzwerk denken muss, mit vielen Einzelinteressen und regionalen Verschiedenheiten, was bedeutet, dass um die Teilnahme und um die Mitwirkung der Städte geworben werden musste.

Erzwingen konnte man nichts. Daher strichen Lübeck und die wendischen Städte in der Einladung die allgemeine Dringlichkeit heraus oder betonten, dass dieser oder jener Punkt die einzelnen Städte ganz direkt betraf. Dennoch waren auf den Hansetagen meist nur zwischen zehn und zwanzig Hansestädte anwesend, selten mehr. Neben der Reise selbst, die lange dauerte, gefährlich war und auch Kosten verursachte, scheute man die Verantwortung, wenn unliebsame oder schwierige Entscheidungen anstanden.

Bei der Einladung für den Hansetag von 1518 wurden neuerlich keine Mühen gescheut und zusätzlich zur schriftlichen Ladung schickte man die Stadtsekretäre von Hamburg und Lübeck zu einer Reise in die verschiedenen Teilregionen oder Hansedrittel, um im persönlichen Gespräch für den Besuch des Hansetags zu werben. Die Stadtsekretäre besuchten dabei die Städte Danzig, Braunschweig und Köln. Diese Städte hatten jeweils in ihrer Region eine Führungsposition inne, sodass bei ihnen auf regionaler Ebene die Fäden zusammenliefen. Denn auf dem kommenden Hansetag sollten wirklich spannende und brisante Pläne besprochen werden , so brisant, dass man es nicht wagte, sie in die brieflich versandte Einladung aufzunehmen. Darin standen daher nur die unverfänglichen Punkte, die problematischen wurden mündlich überbracht. Die beiden Stadtsekretäre aus Lübeck und Hamburg taten ihr Bestes, warben für die Besendung des Hansetags und baten darum, den zusätzlichen Tagesordnungspunkt geheim zu halten und nur mündlich weiter zu geben.

Dieser Punkt ging alle Hansestädte an und für dessen Besprechung war eine möglichst zahlreiche Teilnahme extrem wichtig. Genauere Details zur Reise der Stadtsekretäre sind leider nicht überliefert, dafür aber lässt sich aus der schriftlichen Überlieferung rekonstruieren, wie es in den verschiedenen hansischen Teilregionen weiter ging.

Eine Einladung zum Hansetag war üblicher Weise mit einigem Abstimmungs – und Gesprächsbedarf innerhalb dieser Teilregionen verbunden. Dazu trafen sich Vertreter der betroffenen Städte zu regionalen Tagfahrten, sogenannten Drittelstagen. So auch 1518: den Anfang machten die sächsischen Städte, die sich am 13. April und dann erneut am 20. Mai 1518 zu Städtetagen in Braunschweig trafen. Die livländ ischen Städte – also die Städte im Baltikum – kamen am 20. April 1518 in Wolmar zu einer Tagfahrt zusammen und die Städte des kölnischen Drittels tagten am 13./14. Mai in Deventer und am 27. Mai in Emmerich.

Wie und ob sich auch die preußischen und pommerschen Städte im Vorfeld gemeinsam beraten haben, ist nicht überliefert, doch werden dort die Abläufe ähnlich gewesen sein. Man sieht also, bevor die Städtevertreter – von den Zeitgenossen damals als Ratssendeboten bezeichnet – in Lübeck zum Hansetag eintrafen, hatte man auf regionaler Ebene bereits einigen Aufwand getrieben, um sich in Bezug auf die in der Einladung genannten Verhandlungspunkte zu positionieren und um sich in der Region untereinander abzustimmen. Dass dabei auch über den geheimen, nur mündlich weiterzugebenden Tagungsordnungspunkt beraten worden ist, darf angenommen werden. Als Ergebnis dieser Prozedur erhielten die nach Lübeck entsandten Städtevertreter genaue Instruktionen vom Rat ihrer Stadt, welche Meinung sie zu den einzelnen Punkten zu vertreten hatten, bis zu welchem Grad sie sich auf Kompromisse einlassen konnten oder wo sie auf keinen Fall zustimmen sollten.

Das viele Werben um die Teilnahme war in der Summe erfolgreich, denn insgesamt ent-schieden sich 1518 zwanzig Hansestädte für die Teilnahme. Diese Zahl ist sehr beachtlich, weil anfangs sowohl die Städte des sächsischen wie die Städte des kölnischen Drittels den Hansetag nicht besenden wollten. Die Bedenken der sächsischen Städte konnten ausgeräumt werden und es nahmen neben Vertretern aus Braunschweig und Magdeburg noch die Städte Göttingen, Hildesheim, Goslar, Einbeck und Hannover teil.

Doch die niederrheinischen und ostniederländischen Städte des kölnischen Drittels konnten nicht umgestimmt werden und blieben dem Treffen fern, da man unliebsame Beschlüsse im Zusammenhang mit dem Brügger Kontor befürchtete. So kamen aus dieser Region nur Vertreter aus Köln, Dortmund, Münster und Soest nach Lübeck.

Wenn sich nun im Frühsommer 1518 etwa zwanzig städtische Delegationen für einen Hansetagsbesuch vorbereiteten , welche Personen wählte man aus, um die Stadt in Lübeck zu vertreten? Männer, die befugt waren, die Stadt politisch zu vertreten, also im Rat saßen, womöglich sogar Bürgermeister der Stadt waren. Kleinere Städte entsandten meist einen Delegierten, größere Städte sogar zwei oder drei. Sie traten die oft weite Reise nicht allein an, sondern wurden von Bediensteten begleitet. Die Bandbreite reichte dabei von Bewaffneten zum Schutz der Reisenden über juristisch geschultes Personal zur Unterstützung bei den Verhandlungen bis hin zu Stallknechten und persönlichen Dienern. Schwer zu sagen, wie groß der Tross im Durchschnitt war, der sich da jeweils auf den Weg nach Lübeck machte.

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