Denn erwähnenswert oder beeindruckend aus Sicht der Zeitgenossen war nicht die Zahl der Dienerschaft, sondern die Zahl der mitgeführten Pferde. Heute reist man z. B. mit dem Hubschrauber an, um mächtig Staub aufzuwirbeln und die Wichtigkeit der eigenen Person hervorzukehren, vor 500 Jahre wurde dieser Staub von möglichst vielen Pferden aufgewirbelt. Überliefert ist die schöne Geschichte von einer Hanse-Gesandtschaft 1447 nach Brügge im heutigen Belgien. An dieser Gesandtschaft teilgenommen haben die Hansestädte Köln, Lübeck, Hamburg und Danzig und um die Kosten im Rahmen zu halten, hatte man sich im Vorfeld geeinigt, jeweils mit nur sechs Pferden anzureisen. Das tat die Danziger Delegation dann auch und musste zu ihrem Ärger feststellen, dass die Lübecker mit 19 Pferden, die Kölner mit elf Pferden und die Hamburger mit zehn Pferden anreisten. Dass man darüber sehr erbost war, so unfair verladen worden zu sein, kann man sich gut vorstellen.

Doch insgesamt kann man bei diesen Vorgängen bereits die Raffinesse mittelalterlicher Diplomatie erahnen, der „großen Politik“ geschickt den Weg zu bahnen durch den „großen Auftritt“. Dieses Bemühen der Hansestädte, ihren Ratssendeboten ein hohes Ansehen oder einen hohen Status zu verleihen, ist auch an der Ausrüstung abzulesen, mit der die Delegierten ausgestattet wurden. Aus einer aus dem Jahr 1511 überlieferten Abrechnung der Reisekosten der Teilnehmer aus Riga geht hervor, dass insgesamt 1.220 rigische Gulden ausgegeben wurden, was nach heutiger Kaufkraft ungefähr einem Wert von 109.000 € entspricht, auch für eine reiche Hansestadt wie Riga kein Pappenstiel. Besonders auffallend daran ist, dass etwa 40 Prozent dieser Ausgaben auf die Kleidung der beiden Rigaer Ratsleute entfielen, die die Stadt auf dem Hansetag vertreten sollten.

Für das Geld kaufte man feine Stoffe wie Samt, Damast, Taft oder Seide und dann vor allem Pelze, im vorliegenden Fall u. a. etwa 140 Marderfelle, mitunter besser bekannt als Zobelpelz. Leider ist nicht überliefert, welche Kleidungsstücke aus diesen Materialien genau angefertigt wurden. In dieser Frage präziser sind überlieferte Reisekostenabrechnungen der Hansestadt Köln, die sich z. B. 1487 die Ausstattung ihres Ratsherrn Gerdt van Wesel mit angemessener Kleidung 97 rheinische Gulden kosten ließ (nach heutiger Kaufkraft etwa 24.000 €). Van Wesel kaufte dafür vier Mäntel (einer mit wertvollem Marderpelz gefüttert, ein anderer mit Taft). Er kaufte ein Wams aus Damast, Ärmel aus Fuchspelz, eine Joppe, ein Paar Hosen, Unterwäsche, Schuhe sowie ein Schwert. Wie man sich das Erscheinungsbild dieser Herren dann ungefähr vorstellen muss, zeigt das Portrait des Lübecker Kaufmanns Mathias Mulich (siehe Abb. 1), das Jacob Claesz van Utrecht um 1522 anfertigte. Mulich ist auf dem Gemälde mit einer schwarzen Schaube aus Brokat zu sehen, darüber ein pelzbesetzter Kragen und darunter ein mit goldenen Fäden besticktes Hemd aus Seide. Auf dem Kopf trägt er ein mit kostbaren Perlen besetztes Barett. Das Tragen derart kostbarer Kleidungsstücke war ein Mittel der Distinktion, nur besonders hochgestellte Würdenträger wie z. B. die Mitglieder des städtischen Rates waren dazu berechtigt.

Abb.1 Porträt des Kaufmanns Mathias Mulich, um 1522 von Jacob Claesz van Utrecht, St. Annen-Museum Lübeck

Kommen wir nun zur Reise selbst, die immer auch ein Abenteuer war. Aus dem nahe Lübeck gelegenen Hamburg oder Wismar war es eine Tagesreise, aus dem ca. 1.400 km entfernten Riga brauchte man damals mehrere Wochen. Die Danziger Ratssendeboten reisten 1518 per Schiff an und benötigten wegen ungünstiger Winde drei Wochen für die Überfahrt bis Travemünde. Die Delegation der Hansestadt Kampen legte 1517 die Strecke von ca. 450 km in fünf Tagen zurück, wobei man überwiegend nachts ritt. Um sich gegen Überfälle zu schützen, galt es, bei den zuständigen Landesherren Geleitschutz zu erbitten. Doch auch wenn das Geleit gewährt wurde, blieb jede Reise ein Wagnis. So konnten die Kampener auf der Heimreise kurz vor Cloppenburg nur knapp eine Truppe von etwa 40 feindlichen Reitern abschütteln. Die Gesandten aus Reval (heute Tallinn) und Elbing hatten 1511 weniger Glück. Obwohl sie für den letzten Teil der Reise unter dem Geleitschutz des Herzogs zu Mecklenburg standen, wurden sie drei Kilometer vor Lübeck gefangen genommen und ihre Freilassung (vermutlich gegen Lösegeld) konnte erst nach einiger Zeit und bei Verlust ihrer mitgeführten Habe erreicht werden.

Kamen die einzelnen Delegationen dann in Lübeck an, so legten die Neuankömmlinge wie auch die Stadtoberen Lübecks viel Wert auf einen ehrenvollen Einzug in die Stadt. Wie dieser Einzug genau ausgesehen hat, lässt sich aufgrund der schlechten Überlieferungslage leider nicht genau sagen. Allgemein üblich war es damals, dass bei Besuchen bedeutender fürstlicher oder geistlicher Herren hochrangige städtische Repräsentanten den Gästen entgegenritten, um dann in einem Festzug gemeinsam in die Stadt einzuziehen, normaler Weise begleitet von Spielleuten und Gauklern, dem Geläut der Kirchenglocken und Zuschauern am Straßenrand. So sind wir z. B. ziemlich gut informiert über den feierlichen Empfang, den die Lübecker Kaiser Karl IV. bereitet haben, als dieser im Oktober 1375 die Stadt besuchte. Hochrangige Vertreter des Rates und der Geistlichkeit waren Kaiser und Kaiserin bis vor die Tore der Stadt entgegen geeilt, um das Regentenpaar in Form eines gemeinsamen Prozessionszuges mit allen Ehren in die Stadt zu geleiten.

Spielleute im Mittelalter, Ausschnitt aus einer Buchminiatur der Großen Heidelberger Lie- derhandschrift (Codex Manesse, fol 399r), online verfügbar unter http://digi.ub.uni- heidelberg.de/diglit/cpg848/0793.

Ganz so feierlich wird der Empfang der städtischen Gesandten zu einem Hansetag nicht ausgesehen haben, zumal die Delegationen der verschiedenen Städte nicht alle am selben Tag, sondern sukzessive und verteilt auf mehrere Tage, manchmal sogar Wochen in Lübeck eintrafen. So sind es überlieferte Reisekostenabrechnungen einzelner hansestädtischer Delegationen, die dokumentieren, dass es Empfangsfeierlichkeiten gegeben haben muss. Speziell bei der Ankunft in Lübeck wurden ansehnliche Trinkgelder für Spielleute aufgewandt. Mitunter trat man die Reise nach Lübeck sogar mit eigenen Spielleuten im Gefolge an. So gab z. B. 1518 der Goslarer Bürgermeister Werner Uszler bei seiner Ankunft in Lübeck Trinkgeld für die Trompeter und Trommelschläger des Lübecker Rates, für einen – wie es dort heißt – angetrunkenen Pfeifer, für einen Fiedler und einen Gaukler, für das große Spiel der Lübecker Ratsmusiker sowie für den Trompeter des Hamburger Rates, wahrlich großes Spektakel, denn solch vielfältiger musikalischer Einsatz sorgte für jede Menge Aufmerksamkeit und ist ohne entsprechende Empfangsfeierlichkeiten, ohne Publikum am Straßenrand kaum vorstellbar. Mit so einem Einzug in die Stadt wurde klargestellt, hier kamen nicht einfache Reisende, hier kamen bedeutende Vertreter angesehener Hansestädte, denen Respekt und Ehre gebührte.

Untergebracht wurden die Hansetagsteilnehmer im Regelfall nicht in öffentlichen Gasthäusern oder Herbergen, sondern sie wurden von den führenden Familien der Stadt aufgenommen, Familien, von denen im Regelfall die Männer im Lübecker Rat saßen und die im Hanseraum wirtschaftlich aktiv waren. Nur Hansestädte aus der näheren Umgebung wie z. B. Hamburg, Lüneburg oder Wismar, deren Vertreter sich häufiger in Lübeck aufhielten, unterhielten eigene Häuser in Lübeck. Insgesamt war den Ratssendeboten bei der Wahl ihrer Herberge an einer repräsentativen Unterkunft gelegen, um auch auf diese Weise ihren beanspruchten Status zu unterstreichen.

Noch am Tage ihres Eintreffens in Lübeck wurden die Neuankömmlinge – üblicher Weise zum Abend hin – in ihrer Herberge von Mitgliedern des Lübecker Rates aufgesucht, um sie offiziell willkommen zu heißen und um ihnen Ehrengeschenke zu überreichen. Zum Ablauf eines solchen Besuches notierten die Kampener Gesandten 1517 in ihrem Bericht für den heimischen Rat folgendes: „Noch am selben Mittwochabend hat die Stadt Lübeck einige Ratsleute in passender Weise zu uns in die Herberge geschickt, um uns mit Ehrerbietung willkommen zu heißen. Wir haben uns dafür mit gleicher Ehrerbietung bedankt. Uns wurden drei Stübchen Wein geschenkt.“ Ein Stübchen umfasste etwa 3,6 Liter, also zusammen ein Weingeschenk von ca. 10,8 Litern. Wovon die Kampener hier berichten, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum Ersten wird deutlich, dass noch vor dem offiziellen Beginn des Hansetags Vertreter des Lübecker Rates jede einzelne Delegation besuchten und neben der erwähnten gegenseitigen Ehrerbietung sicherlich auch Ansichten und Erwartungen zu den bevorstehenden Verhandlungen austauschten. Dass auf diese Weise wertvolle Informationen gesammelt wurden für die Leitung der Verhandlungen, die ja im Regelfall beim wortführenden Lübecker Bürgermeister lag, liegt auf der Hand.

Zum Zweiten erregen die Weingeschenke als solche Aufmerksamkeit und muten uns heute merkwürdig an. Doch entsprachen Ehrenweingeschenke der damaligen alltäglichen Praxis. Von daher finden sich Ausgaben für Ehrenwein – manchmal auch Schenkwein genannt – im Rechnungsgut fast aller mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte. Für die Zustellung oder Überreichung der Weingeschenke waren Diener des Rates zuständig, die für ihre Dienste meist ein Trinkgeld erhielten.

Begleitet wurden die Stadtdiener häufig von Vertretern des Rates, wie es auch 1517 bei den Kampenern der Fall war und wie man es an verschiedener Stelle in den überlieferten Hansetagsunterlagen nachlesen kann. Bei den Ehrenwein- Geschenken handelte es sich daher nicht nur um eine nette Geste, sondern mit ihrer Hilfe wurde auf der politischen Bühne das Feld bereitet. Wir sehen: nicht nur „großes Spektakel“, auch „große Diplomatie“. Von daher erstaunt es nicht, dass es im städtischen Kontext kaum einen repräsentativen politischen Vorgang gab, bei dem nicht Wein verschenkt wurde.

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