Warum war die Sitzordnung so wichtig? Das hat damit zu tun, dass Entscheidungen nicht im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zustande kamen, sondern es wurde solange beraten, bis ein von allen Seiten akzeptierter Kompromiss gefunden war. Dies geschah in der Weise, dass nach ersten einführenden Worten durch den Lübecker Bürgermeister, der im Normalfall die Verhandlungen auf den Hansetagen leitete, jeder Teilnehmer in der Reihenfolge der Sitzordnung zu Wort kam und sein Votum abgab. Es liegt auf der Hand, dass diejenigen, die zuerst zu Wort kamen, Stimmung und Gang der Ereignisse stärker beeinflussten als die spä- teren Redner. Insofern kann man sagen: Sitzplatz und Rang waren fundamental für die Art der politischen Kommunikation und für die auf Konsens ausgerichtete Entscheidungsfindung.

Damit wird verständlich, warum die Städte so großen Aufwand trieben, ihre Delegierten mit vielen Pferden und teurer Kleidung ausstatteten, Musiker bezahlten und es genauestens registriert wurde, in welcher Form und durch wen Ehrenwein-Geschenke überbracht worden waren. Denn auf diese Weise wurde lange vor Beginn der eigentlichen Sitzungen das Kräfteverhältnis der Städte untereinander ausgelotet und erste Pflöcke im Hinblick auf die Sitzordnung während der Verhandlungen eingeschlagen.

Brügge Handelskontor

Thema auf dem Hansetag: Das Hansekontor in Brügge. Hier Versammlungsgebäude des Hansekontor in Brügge in Brügge, auch Haus der Osterlinge genannt. Scan einer zeitgenössischen Abbildung (Stich), abgebildet in Graßmann, Lübeckische Geschichte, 1989, S. 215 ISBN 3 7950 3203 2 aus dem Bestand des Archiv der Hansestadt Lübeck

Welche Themen und Probleme wurden auf Hansetagen verhandelt? Zum Einen nahm die Situation an den Außenhandelsplätzen der Hanse immer wieder breiten Raum ein, so auch auf dem Hansetag von 1518: hier z. B. die seit längerem diskutierte Frage, ob man nicht gut daran tue, sich in Flandern den geänderten Marktbedingungen zu beugen und das Hansekontor von Brügge nach Antwerpen zu verlegen. Neben solchen handelsbezogenen Themen stand 1518 ein brisantes politisches Thema auf der Tagesordnung. Davon war schon die Rede. Die Hansestädte sahen sich mit einer zunehmend städtefeindlicheren Politik der adeligen Landes- und Stadtherren konfrontiert, die danach trachteten, die bisherigen weitreichenden politischen Handlungsspielräume ihrer untergebenden Städte einzugrenzen. Sie wollten die Städte zurück unter ihre Herrschaft zwingen und bei z. B. Stendal, Salzwedel, Halberstadt, Halle und einigen mehr war ihnen dies bereits gelungen. Die Gefahr war also sehr real und den Teilnehmern des Hansetags schmerzlich bewusst. Um hier ihre Position gegenüber den erstarkenden Landesherren zu verbessern, wollten sie sich innerhalb der Hanse zu einem politischen Bund zusammenschließen. Zentraler Punkt des Bündnisentwurfs war die gegenseitige Hilfe und Unterstützung

a) bei innerstädtischen Unruhen und

b) bei Übergriffen durch den Stadtherrn.

Diese Hilfe sollte nicht militärischer Natur sein, sondern in Form von Geldzahlungen erfolgen, denn – wie es der Göttinger Bürgermeister ausdrückte – wenn man Geld habe, dann kriege man wohl, was man wolle, ein Ausspruch, der bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat. Und wen wundert’s, es lag dann genau am Geld, dass man 1518 in dieser Sache nicht weiter kam. Schien den einen die Höhe der zu leistenden Hilfezahlungen zu gering, so war sie den anderen bereits viel zu hoch. Eine Einigung war nicht in Sicht.

Worauf man sich aber 1518 einigen konnte, war die Frage, welche Städte überhaupt an diesem Bündnis beteiligt werden sollten und damit auch an den Hansetagen teilnehmen sollten und welche nicht. Man führte eine zweigeteilte Mitgliedschaft ein und unterschied dabei in größere und kleinere Hansestädte. Fortan sollten nur noch größere Städte, deren politische Unabhängigkeit vom Stadtherrn unzweifelhaft gegeben war, zu den Hansetagen zugelassen werden. Die anderen, meist kleineren Städte sollten im Handel die hansischen Privilegien durchaus noch nutzen dürfen, aber an der Gestaltung der hansischer Politik nicht mehr beteiligt werden und daher auch nicht mehr zu den Hansetagen geladen werden. Zu dieser neu geschaffenen Gruppe der kleineren Hansestädte zählte man 1518 zwölf Städte: nämlich Braunsberg, Stettin, Uelzen, Gollnow, Stavoren, Bolsward, Lippstadt, Unna, Hamm, Warburg, Bielefeld und Venlo.

Es ging nicht darum, diese kleineren Städte von der Hanse auszuschließen, sondern darum, den Kreis der politisch gestaltenden Städte so einzugrenzen, dass die Geheimhaltung der eigenen Politik und Abwehrstrategien gegenüber den adeligen Stadt- und Landesherren gewahrt bliebe. Damit ist eine weitere Facette der Hansetage jener Zeit genannt: Neben großem Spektakel und raffinierten Formen politischer Entscheidungsfindung die Fähigkeit, über z. B. die Einführung einer zweigeteilten Mitgliedschaft die inneren Strukturen zu reorganisieren und an die aktuellen politischen Notwendigkeiten und Bedürfnisse anzupassen.

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