Dabei war genau reglementiert, wer wie viel Wein, in welcher Qualität erhielt. Auch in Lübeck war das so, wie aus Aufzeichnungen des Lübecker Ratsweinkeller-Meisters um 1504 deutlich wird. Demnach sollte ein König vier Ohm (jedes Ohm gleich 145 Liter) und am Folgetag weitere 16 Stübchen Wein erhalten, eine Königin zweieinhalb Ohm und tags darauf acht Stübchen, ein Kurfürst zwölf Stübchen, eine Kurfürstin sechs, ein Herzog acht Stübchen, eine Herzogin vier, ein Bischof oder ein Graf vier Stübchen, eine Gräfin zwei, ein Ritter oder ein Abt zwei Stübchen, städtische Ratsherren ein Stübchen, doch wenn sie allein kamen zwei, ein Doktor oder Kanzler zwei Stübchen, doch wenn sie mit ihren Herren kamen nur ein Stübchen und ein Ratsschreiber ein Stübchen Wein erhalten. Dass man sich in Lübeck an diese Richtwerte zum Ehrenwein hielt, zeigt schon das eingangs angeführte Kampener Beispiel. Aus Kampen angereist waren drei Delegierte, die beiden Bürgermeister Lubbert van Hatten und Johan Kruse sowie der Stadtschreiber Johan van Breda, die dann zusammen drei Stübchen Wein erhielten.

Nach Ankunft der hansestädtischen Delegationen in Lübeck stellt sich nun die Frage: Wann fing ein Hansetag an? Zwar wurden die Delegierten zu einem festen Termin nach Lübeck geladen, doch war durch die Dauer der Reise und wegen der unterwegs lauernden Unwägbarkeiten nur ungefähr die Ankunft zu planen. Daher fing ein Hansetag dann an, wenn das Gros der erwarteten Hansestädte in Lübeck eingetroffen war. Auch 1518 gab es eine Verzögerung und so blieb z. B. der Goslarer Delegation bis zum Beginn des Hansetags noch gut eine Woche Zeit, die man sich mit einem Ausflug nach Travemünde vertrieb, um das dort vor Reede liegende Schiff „Eiserner Heinrich“ zu besichtigen und sich Seehunde zeigen zu lassen. In Lübeck wurde die damals weit über die Stadt bekannte Wasserkunst bestaunt und man tätigte einige Besorgungen.

Neben Filzmänteln für Bürgermeister und Stadtsekretär wurden Schuhe gekauft und Reparaturen an Sattel und Zaumzeug der Pferde vorgenommen. Auch von der Rigaer Gesandtschaft zum 1511er Hansetag war eine Wartezeit zu überbrücken, die neben der Erneuerung von Reiseausrüstung und Proviant ebenfalls für einen Abstecher nach Travemünde genutzt wurde. Das Interesse erregten jüngst von den Lübeckern im Zuge der dänisch-lübeckischen Fehde (1509-1512) gekaperte Schiffe, die nun dort vor Anker lagen.

Eingeladen hatte man 1518 für den 6. Juni, doch eröffnet wurde der Hansetag mit fast zwei Wochen Verspätung am 19. Juni. Dazu schickte der Lübecker Rat einen Boten in die Unterkünfte der Delegierten und lud sie für den nächsten Morgen zum Beginn der Verhandlungen ein. Man könnte denken ins Rathaus, denn dort im ersten Stock, im Hansesaal, wurden Hansetage üblicher Weise abgehalten. Errichtet worden ist der Hansesaal in der Mitte des 14. Jahrhunderts bei einem Umbau des Lübecker Rathauses, was zu einer klaren Aufgaben- bzw. Funktionstrennung der Räumlichkeiten führte.

Das Erdgeschoss war mit dem Ratssaal für den städtischen Rat bestimmt, während das Obergeschoss des Rathauses mit dem Hansesaal den hansischen Angelegenheiten diente. Fast 400 Jahre nach seiner Einrichtung wurde der Hansesaal in den Jahren 1817-1818 zu Verwaltungsräumen umgebaut. Dankenswerter Weise wurde kurz vor dem Umbau eine Zeichnung angefertigt (siehe Abb. 3), die die einzige Abbildung darstellt, die vom Hansesaal überliefert wurde.

Hansesaal im Lübecker Rathaus

Abb. 3: Hansesaal im Obergeschoss des Lübecker Rathauses um 1817/18; Zeichnung von E. C. Krüger, Archiv der Hansestadt Lübeck

Der Hansesaal lag direkt über dem heute noch erhaltenen Audienzsaal, war aber deutlich größer. Denn er nahm im ersten Stock die gesamte Länge des Haupthauses ein, das sind ca. 38 Meter und er war 10,5 Meter breit, zusammen 400 qm.

Die Raumhöhe betrug zwischen sechs und sieben Metern, ein Saal also mit durchaus stattlichen Ausmaßen. Es lässt sich heute leider nicht mehr sagen, wie der Saal eingerichtet war, doch wissen wir (auch aufgrund der Zeichnung kurz vor dem Umbau), dass darin ein Gestühl stand, das hufeisenartig angeordnet war.

In diesem Gestühl nahmen die Teilnehmer Platz, saßen sich also in zwei langen Reihen gegenüber. Anders als heute, wenn wir in der Tagesschau die Berichte von politischen Treffen und Verhandlungen auf großer Bühne sehen, gab es damals keinen runden Tisch, um den herum alle saßen. Damals hat es eher so ausgesehen, wie auf Abb. 4 zu sehen. Dargestellt ist die Sitzung des Lübecker Ratsgerichts Anfang des 17. Jahrhunderts, die zwar nicht im ersten Stock, im Hansesaal, sondern im Erdgeschoss des Lübecker Rathauses, im Ratssaal, stattfand. Im hinteren Bereich des Bildes ist zu sehen, wie die Ratsherren in ihrem Gestühl an drei Seiten Platz fanden.

Ratsgericht

Sitzung des Ratsgerichts 1625 im Audienzsaal des Lübecker Rathauses; Gemälde von Hans von Hemßen, St. Annen-Museum Lübeck

Zum Auftakt des Hansetags wurde jedoch nicht ins Rathaus geladen, sondern in die Marienkirche.

Hier trafen sich die Abgesandten der Hansestädte vermutlich in der Ratskapelle der Kirche zu einem Gottesdienst. Im Anschluss formierten sich die Ratssendeboten entsprechend ihres Ansehens und ihres Rangs zu einem gemeinsamen Zug, d. h. je größer das Ansehen und der Rang der Stadt war, die man repräsentierte, desto weiter vorne war der angemessene Platz.

In dieser Weise aufgestellt, begaben sich die Delegierten in einer Art Prozession vermutlich über den Marktplatz ins nahe gelegene Rathaus, ein Zug, der sicherlich für Aufsehen gesorgt hat.

Im Rathaus angekommen wurde der Zug am Eingangsportal des Hansesaals von den Lübecker Bürgermeistern empfangen und jedem Einzelnen entsprechend seines Rangs der ihm zustehende Sitzplatz im Gestühl zugewiesen. Diese Rang- ordnung änderte sich über die Jahrhunderte erstaunlich wenig. Dennoch kam es darüber auch mal zu Streit zwischen den Städtevertretern, ein Phänomen, dass im Laufe der Jahrhunderte zunahm und vor allem dann auftrat, wenn der seit alters eingenommene, übliche Rang nicht mehr mit der aktuellen Bedeutung und dem Einfluss der Stadt übereinstimmte.

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