Um die verschiedenen Tagesordnungspunkte zu beraten, die 1518 auf der Agenda standen, kam man vom 19. Juni bis zum 14. Juli an allen Werktagen – also auch samstags – zusammen. Vermutlich begann man morgens um sieben Uhr mit einem Gottesdienst in der Marienkirche, vielleicht aber auch gleich im Rathaus. Die Sitzungstage, die für eine Mittagspause unterbrochen wurden, ließ man am Nachmittag mit Wein und Konfekt ausklingen, eine Sitte, die sich bis ins 17. Jahrhundert hielt. Bewirtung mit Wein und Konfekt waren für die damalige Zeit durchaus üblich und sind für die Ratssitzungen vieler Städte im 15. und 16. Jahrhundert überliefert. So begannen z. B. in Lübeck die nachmittäglichen Ratsversammlungen damit, dass von den aufwartenden Ratsdienern zuerst Rheinwein, dann Hippokras – ein stark gewürzter Rotwein –, dann wieder Rheinwein und danach noch zweimal Hippokras ausgeschenkt wurde. Selbst die Baulichkeiten des Rathauses waren hierauf eingerichtet, denn es führte vom Ratsweinkeller im Untergeschoss des Rathauses eine schmale Dienstbotentreppe in den für Ratssitzungen vorgesehenen Audienzsaal im Erdgeschoss und in den Hansesaal im Obergeschoss.

An Sonn- und Feiertagen legte der Hansetag eine Sitzungspause ein. Jedoch war es dem Lübecker Rat wichtig, dass die Hansetags-Teilnehmer bei Gottesdiensten und anderen Feierlichkeiten miteinbezogen wurden. So überbrachte z. B. 1517 der Lübecker Stadtsekretär den in der Stadt weilenden Gesandten die Bitte des Rates, an der Fronleichnamsprozession teilzunehmen. Interessant ist auch, dass z. B. zum Hansetag von 1507 der Lübecker Rat zu Trinitatis – also am ersten Sonntag nach Pfingsten – für die Hansetagsteilnehmer ein großes Gastmahl in der Olavsburg ausrichtete. Die Olavsburg war ein repräsentatives Gebäude, das vom Rat und von der Lübecker Zirkelgesellschaft regelmäßig für Festlichkeiten genutzt wurde, bis es in der Wullenwewer-Zeit – also in den 1530er Jahren – zerstört wurde.

Leider sind keine weiteren Details zu den Feiern und Gastmähler während der Hansetage überliefert. Doch wir wissen von einem ähnlichen Gastmahl, dass der Lübecker Rat 1502 auf der Olafsburg ausrichtete und an dem damals die Lübecker Oberschicht teilnahm, um die 50 Personen etwa. Das Gastmahl währte zwei Tage und die einzelnen Mahlzeiten bestanden aus jeweils zehn bis zwölf Gängen (siehe Abb. 5). Auch 1507 scheint das für die Hansetagsteilnehmer ausgerichtete Gastmahl zwei Tage gedauert zu haben, denn am Montag nach Trinitatis fiel 1507 der reguläre Sitzungsbetrieb aus. Man sieht also, es wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch gefeiert. Und dass bei solchen Feiern auch die Kontakte untereinander gepflegt und ausgebaut, es also auch um Netzwerke und um Patronage ging, ist naheliegend.

Der Abschluss eines Hansetags wurde damit eingeläutet, dass der Lübecker Bürgermeister den Rezess, das fortlaufend mitgeschriebene Verlaufs- und Beschlussprotokoll des Hansetags, vorlesen ließ und dieser dann von den Abgesandten beraten und genehmigt wurde. Die oben angesprochenen Verhandlungen über das angestrebte Bündnis der Hanse schätzte man im Übrigen als so brisant und geheim ein, dass weite Teile davon nicht in den Rezess aufgenommen wurden. Wir wissen heute nur deshalb davon, weil persönliche Aufzeichnungen einzelner Delegierter darüber berichten. Nachdem sich die Delegierten auf den Wortlaut des Rezesses geeinigt hatten, dankte der Lübecker Bürgermeister als Wortführer des Hansetags den versammelten Ratssendeboten für Ihr Erscheinen und ihre Teilnahme und beendete den Hansetag.

Als abschließendes Resümee zu den Hansetagen an der Wende zum 16. Jahrhundert bleibt festzuhalten, dass mithilfe der schriftlichen Überlieferung viele Details zu den organisatorischen und kommunikativen Abläufe der Hansetage rekonstruiert werden können. So ist deutlich geworden, dass die hansestädtischen Gesandten mit dem finanziellen Rückhalt ihrer Heimatstädte erheblichen Aufwand trieben, um am Tagungsort durch die Größe ihres Gefolges – hier vor allem die Zahl der Pferde –, durch die Pracht ihrer Kleidung und Ausstattung und durch das Aufspielen der Musiker den von ihnen beanspruchten Ehrenstatus deutlich herauszustellen. Sowohl die Ehrenwein-Geschenke wie auch die Zuweisung einer angemessenen Herberge sind als Reaktion der gastgebenden Stadt auf den zur Schau gestellten Ehrenstatus der Ankömmlinge zu verstehen. Mittels dieser Interaktionen, den darin möglichen feinen Skalierungen und Abstufungen, wurde im Hinblick auf das Auftreten und Ansehen beim Hansetag eine erste Vorklärung betrieben und damit die gegenseitigen Erwartungen und Einschätzungen aufeinander abgestimmt. Dadurch wurde das Feld bereitet für die sich anschließenden Zeremonien zur Eröffnung eines Hansetages, für den Platz in der Rang- und Sitzordnung, die als technische Verfahrensgrundlage für die späteren Verhandlungen von zentraler Bedeutung war.

Aus den zusammengestellten Details zu Ablauf und Organisation eines Hansetages wird aber auch deutlich, wie sehr die Abläufe rund um die Tagfahrten in das Lübecker Stadtgeschehen hinein wirkten. Das städtische Leben vor Ort wurde viel weiter berührt, als bislang von der Forschung berücksichtigt. Man denke an die Beherbergung der Gesandten bei angesehenen Lübecker Ratsfamilien, an die aufspielenden Musiker und an die städtischen Diener, die den Ehrenwein verteilten, an die vermutlich tägliche Prozession der Ratssendeboten von der Marienkirche zum Rathaus und an den Glanz gemeinschaftlich begangener Feste. Dass es darüber einerseits den auswärtigen Gesandten wie andererseits den Lübecker Oberschichtsfamilien möglich war, ein weitreichendes Netz persönlicher Kontakte und Verbindungen in andere Städte und Handelsorte zu knüpfen, liegt auf der Hand und bietet insoweit der Erforschung der Netzwerke hansischen Handels neue Ansätze. Ebenso bleibt es eine offene Frage für die weitere Forschung, was dies für das Selbstverständnis der Reichs- und Hansestadt Lübeck bedeutete. Wie und in welcher Weise nahmen damals die Einwohner Lübecks davon Kenntnis? Doch darauf eine Antwort zu finden, ist eine andere Geschichte und die soll ein anderes Mal erzählt werden.

Literatur zum Thema

Maria Seier, Ehre auf Reisen: Die Hansetage an der Wende zum 16. Jahrhundert als Schauplatz für Rang und Ansehen der Hanse(städte), (Kieler Werkstücke, Reihe E, hg. v. Gerhard Fouquet, Bd. 14), Frankfurt a.M. 2017.

Maria Seier, Die Hanse auf dem Weg zum Städtebund: Hansische Reorgani- sationsbestrebungen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 130 (2012), S. 93–125.

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