Mit dem Koalitionsvertrag rückt die Rolle Deutschlands in Europa in den Blickpunkt.

Obwohl sich der Wahlkampf überwiegend um innenpolitische Fragen drehte, enthielt der verabschiedete Koalitionsvertrag ein Kapitel über die Rolle Deutschlands in der EU, Europa und der Welt. Man spricht davon, dass Berlin vor der Aufgabe der „strategischen Reflexion“ steht. Ob der Koalitionsvertrag die Grundlage dafür ist, bleibt abzuwarten. Doch vom Ostseeraum aus gesehen gibt es Grund zur Besorgnis.

Verteidigungsministerin von der Leyen vertrat bei den jüngsten öffentlichen Auftritten auf der Münchner Sicherheitskonferenz und der LSE die Idee eines umfassenden Ansatzes in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.

Ein umfassender Ansatz ist im Sicherheitsdiskurs nichts Neues. Kerngedanke ist, dass sich Entwicklung und Sicherheit in Konfliktgebieten ergänzen. Das sagte von der Leyen auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz: „Nach einem harten Kampf, IS aus einer Stadt zu vertreiben, können wir die Herzen und Köpfe der Menschen nur gewinnen, wenn wir dafür sorgen, dass Wasser, Strom und Arbeitsplätze schnell wiederhergestellt werden. Gleichzeitig müssen die Helfer wissen, dass sie nicht allein und wehrlos sind, sondern dass das Militär an ihrer Seite steht. Der Helfer und der Soldat brauchen einander.“

Es stimmt, dass die Konfliktgebiete, sei es im Irak, in Syrien, Libyen, Afghanistan oder Mali, im gegenwärtigen internationalen Umfeld zu den herausfordernsten Regionen der Welt gehören und direkte Auswirkungen auf die EU und Europa haben. Die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes in diesen Regionen ist indes groß.

Trotz der Erkenntnis, dass bei der Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen Europas ein umfassender Ansatz erforderlich ist, hat Verteidigungsminister von der Leyen keine konkreten Angaben darüber gemacht, wie Deutschland zur Verteidigung Europas beitragen wird. Im gegenwärtigen internationalen Klima ist die Machtpolitik wieder da und die EU hat eine gemeinsame Grenze mit einem aggressiven Gegner Russland.

Es ist beunruhigend, dass der Schwerpunkt der deutschen Sicherheitspolitik weitgehend außerhalb Europas liegt. Die Gewährleistung der Sicherheit von Konfliktgebieten außerhalb der EU ist ebenso wichtig wie die Verpflichtungen der NATO in Europa.

Deutschland ist derzeit neben dem Vereinigten Königreich in Estland, Kanada in Lettland und den USA in Polen das Rahmenland der NATO für eine verstärkte Vorwärtspräsenz (eFP). Seit 2014 beteiligt sich Deutschland jährlich an der Baltic Air Policing Mission und nimmt häufig an regionalen Übungen teil und hat sein Engagement für den Aufbau von Kontakten zwischen den Menschen in der Region unter Beweis gestellt.

Doch Deutschland fehlt eine Vision und Strategie für die Region und Europa gegenüber dem Osten.

Deutschland entzieht sich seit Jahren den Herausforderungen der europäischen Sicherheit und scheint dies auch weiterhin zu tun.

Deutschland ist geografisch, wirtschaftlich und politisch das Zentrum Europas und muss die Verantwortung für die europäische Sicherheit übernehmen. Zurück zum Koalitionsvertrag: „Wir brauchen eine neue Kultur der Verantwortung, in der die Verlässlichkeit Europas als Partner in der westlichen Welt wächst und unsere Position deutlich gestärkt wird“. Verlässlichkeit wird jedoch nicht dadurch erreicht, dass man anderen hilft, solange die eigenen Sicherheits- und Verteidigungsfragen in Deutschland nicht angegangen werden.

Während die transatlantischen Beziehungen weiterhin der Eckpfeiler der europäischen Sicherheit sind, sollte der Beitrag Deutschlands zur kollektiven Verteidigung verstärkt werden. Der Ostseeraum würde von einer klaren Vision für die europäische Sicherheit durch Deutschland profitieren, einschließlich der Unterstützung der transatlantischen Beziehungen und einer kohärenten und realistischen Außenpolitik gegenüber Russland und unseren östlichen Nachbarn.

Deutschland feiert seine berühmten Urlaubsorte an der Ostseeküste. Geografisch gesehen ist Deutschland Mitglied der Ostseeregion und es ist an der Zeit, dass auch Deutschland mehr Verantwortung für die Sicherheit der Region übernimmt.

……..

Piret Kuusik ist Junior Researcher am Estnischen Institut für Außenpolitik am Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit (ICDS) in Tallinn, Estland. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Europa, der Ostseeraum, die EU-Außen- und Sicherheitspolitik und die deutsch-französischen Beziehungen. Sie hat einen BA in Internationalen Beziehungen an der University of York (UK) und einen MA in Internationaler Sicherheit von der Paris School of International Affairs (PSIA), Sciences Po Paris.

 

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